KÖNIGSWEG | Archetypische Gestaltung

Was ist Archetypische Gestaltung? (4/7)

Was ist Archetypische Gestaltung? (4/7)

Das Prinzip:

Die Mathematik geht mit Elementen um, die für Sachen stehen und eindeutig sind. Diese Zahlen oder Variablen kann man sich als eine Linie vorstellen, mit gewisser Länge und beliebig unterteilbar. In jedem ihrer Zählsysteme, wir nehmen hier das Dezimalsystem, wäre also Eins ein Strich; kommt nun eine nächste Einheit mit hinzu, in diesem Fall die Zwei, setzt sich ein zweiter Strich hinzu und so fort. Unverwechselbar, aus exakt gleichen Einheiten, baut sich eine Zahl somit rein additiv aus lauter Einsen auf. Und wie Streckenmaße oder Flächen oder Mengen oder mehr ist jede Zahl ermessbar, zählbar, rechenbar aus Einsen. Grundsatz ist daher die Multiplikation; 67 beispielsweise heißt: 67 mal die Eins.

Wie steht es um den Inhalt? - Statt erwähnter Kumulation von „Einheiten“ gibt es hier natürlich nur die eine, die sich in Aspekte ganzer Zahl entfaltet. Am besten stellen wir uns dafür einen Kreis vor, um dessen Mittelpunkt beliebig viele Kreissegmente stehen. Eine Vierheit an Prinzipien beispielsweise erbildet sich so aus der Teilung dieses Kreises in 2 und wieder 2, also Oben-Unten, Rechts-Links. Manch einer nannte dann ein Viertel „Feuer“, die andern „Wasser“, „Luft“ und „Erde“ - wir hörten schon davon. Division ist hier der angewandte Grundsatz, nur ohne rechnerische Teilung in „Einheiten“, also ohne Trennung; die Zwölfheit beispielsweise heißt: Eins in 12 Aspekten.

Jeder Aspekt der Einheit ist ein Prinzip, das erlebbar, erzählbar, verstehbar ist, da es den Bezug stets aus dem Ganzen und der Richtung auf die andern nimmt.

Da der Betrachter inkludiert ist (statt neutralisiert) und die Betrachtungsweise damit auch, widerspiegeln Aspekte eine Ansicht, also den Gesichtspunkt einer ganz bestimmten Schau. Von daher finden auch die Sätze der erwähnten Logik keine rechte Gültigkeit, weder der Satz der Identität, noch der vom Widerspruch, noch vom ausgeschlossenen Dritten... Jeder Aspekt ist mehrdeutig, je nach Blickpunkt, und Schritt für Schritt verdichtet sich die Summe an Bezügen zur unerschöpflichen Tiefgründigkeit.

Jedes Urprinzip ist ein einzigartiger Aspekt der großen Ordnung, ist reiner Inhalt, den man umkreisen und womöglich immer tiefer, immer besser verstehen kann, wohlwissend freilich, dass man ihn nie schon ganz ergründet; und ist fern von Raum und Zeit immer da: in Kultur, Geschichte, Mathematik, Philosophie, Wissenschaft und Natur, dem Aufbau einer Blume, einer Galaxie, ja dem Größten wie dem Kleinsten, dem Schicksalsvollsten und Zufälligsten - in jeder Gestalt.

Ein Prinzip gilt entweder immer und überall oder nie und nirgends.

Das Prinzip steht immer am Beginn und ist allem Verfassung und Richtschnur zugleich. Die wesentlichsten Werkzeuge seiner Erkenntnis sind die ganzheitliche, bildhafte, verstehende Schau, die Fähigkeit zur Abstraktion, sprich: Freilegung eines Inhalts, um ihn zu deuten und damit bedeutsam zu machen, wie auch die Analogie, die ein Prinzip eines Sachverhalts in einem anderen Sachverhalt wieder zu erkennen vermag.

Die Analogie ist aber nicht etwa die Übertragung eines Inhalts von einem Bereich in einen anderen – da das Prinzip von Zeit und Raum unabhängig ist, ist es überall ein und dasselbe!

Und so lernen wir, wie ein Prinzip mit einem anderen zusammenhängt, wie eine Reihe von verwandten Prinzipien sich unter ein größeres subsummieren und immer mehr, wie die eine große Wirklichkeit sich baut. Wie wunderbar also, dass wir vom Wetter etwas über den Aufbau von Atomen lernen können, dass dieser Aufbau im Prinzip derselbe ist, wie bei unserer Galaxie und deren Verhältnisse uns wiederum bedeutsame Anleihen für unseren ganz „gewöhnlichen“, sogenannten Alltag geben können.

Erst dann wird die Welt bedeutsam, wenn wir zu dieser einen Wirklichkeit hindurch gedrungen sind, erst dann macht alles seinen Sinn.

Jedes dieser Urprinzipien ist eine sogenannte Archē (Pl. Archēn), das ist ein Urgrund, eine primordiale Hauptsache, Ursprung und erster Beweggrund, eine Säule der Wirklichkeit.

Die Lehre und Kunst von den Urgründen und den allerersten Hauptsachen (Prinzipien) ist die Archetik.

So bezeichnen wir alles Ursprüngliche in diesem Sinn als archetisch, wenn es sich allein auf diese Urprinzipien bezieht und noch gar nicht in konkretes Dasein tritt. Vergleichbar wäre das in Analogie mit dem Variablen- und Zahlenwerk der Mathematik. Wo man aus der Ordnung der Archetik eine Aussage trifft, man also letztlich unsagbare Prinzipien in verstehbare Sprache kleidet, auf dass man sie verstehe, nennen wir das Archegetik. Noch immer setzt das keinen konkreten Bezug voraus und kann das ganz abstrakter Inhalt sein, doch beginnt schon hier bereits die Deutung der Archē als Auszug, als Exegese des Prinzips.

Der Archeget übt die Kunst der Deutung und Auslegung von Archetik; philosophisch betrachtet, ist Archegese die Hermeneutik dieser Welt.

Gewiss - wir reichen alten Wein in neuen Schläuchen - die Geschichte kennt so manches Beispiel für die Archegetik:
Der Tetrade hat man uns schon vorgestellt, die Milesier machten uns den Anfang, und über Platon, Aristoteles und die Stoiker, die früharabische und mittelalterliche Alchemie, über Paracelsus in die Neuzeit fantastischer Vier: die 4 Elemente innervieren seit jeher unsere Kultur.
Die Triade aber auch - als Mercurius und Sal und Sulfur war sie Chiffre für die Dreiheit in der Alchemie, als Geist, Seele, Körper ja schon Allgemeingut, mit Sattva, Tamas und Rajas beispielsweise als Trigunas Teil der indischen Philosophie (Samkhya) und später ein bedeutendes Zentralgestirn nicht nur im Hinduismus. -
Und viele weitere mehr...

Wie in mathematischen Gefilden, findet sich auch hier die Kunst darin, in wenig Ziffern und entsprechender Kombination eine ganze Welt zu finden. Und in Verbindung zu der Form ergibt sich wiederum der Archetyp...

Fortsetzung: Teil 5/7

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