Was ist Archetypische Gestaltung? (5/7)
Der Archetyp:
Ein Prinzip kann man nicht messen, noch definieren, nicht einmal begreifen. Darum ist die Beschäftigung damit auch ganz und gar unwissenschaftlich. Denn während sich die Wissenschaft bewusst darauf beschränkt hat, ausschließlich feste und stichhaltige Kost mit den analytischen Mitteln von Messer und Gabel zu begreifen, blieb jene Weisheit zurück, die bekanntlich mit Löffeln gegessen wird und jeder Gabel nur entrinnt.
Wie bei einem Gefäß, das kostbare Flüssigkeit trägt: Es ist aus der Unteilbarkeit des Lebens, des Inhalts, die eine Form belebt, dass die Zergliederung nur Bruchstücke ihrer Form in Händen halten kann, wo ein Inhalt zur Kost bereit gewesen. Die bekannte Geschichte des Chirurgen, der damit prahlte, bei annähernder Tausendschaft von Eingriffen noch nie einer Seele begegnet zu sein, ist denn auch nicht minder humorvoll, als die des Fernsehtechnikers, dem beim Öffnen tausender Geräte noch nie ein Programm begegnet war. - Ganz anders als die bekannten Naturgesetze der Wissenschaft, fußt ein Inhalt ja nie auf der Quantifizierung seiner Phänomene, sondern auf einem verstehbaren Prinzip. Auf der Suche nach der Wahrheit, wie beim Essen einer Suppe eben gilt: echter Inhalt entzieht sich allem Zugriff und ist nur zu Fassen, zu Kosten, zu Verstehen.
Die Archē können wir im Geist umkreisen und vielleicht erkennen, doch als ein Prinzip hat sie niemals selbst Gestalt. In abstrakter Weise nannte man sie nach Vertretern, mal ein Steinbock, mal Saturn, mal ein Göttername oder ein Metall... In Verbindung mit der (recht bereiteten) Form, das haben wir erfahren, erscheint mitunter emergent Gestalt. – Nun ist es aber so, als beschauten wir ein Gemälde, um daraus die Farben der Palette zu erschließen: wir blicken ja auf eine temperierte Mischung aus ursprünglich nur primären Farben.
Genau so stehen wir vor jeder einzelnen Gestalt. Ihr jeweiliges Temperament ist eine sinnige Kombination von Prinzipien, gesamt genommen ein Konvolut aus allen. - Hier beginnt der Charakter, Figuren treten auf, sie alle Typen aus mancherlei Prinzipien, wie Sekundärfarben auf einer Leinwand, bereit, ein gutes Bild zu geben.
Der Typ, die Type ist in Wirklichkeit wie eine Druckletter, die Ziffern dieser Wirklichkeit ins Leben schreibt. Als ein Abdruck ist sie Archetyp, die gestaltgewordene Momentaufnahme einer vollständigen Prinzipienwelt.
Sah die Archegetik noch primär den Regenbogen aller Farben, verbindet sie sich mit der Form zum sekundären Archetyp. Erstere sind rein Prinzipien im archegetischen Zusammenhang, wie die klassische Siebenheit, von alters her benannt nach den Gestirnen Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn. Letzteres mag beispielsweise der Archetyp des „Herrschers“ sein, sowohl ein Gepräge des Mars-Prinzips im Hinblick auf die Durchsetzung, als auch der Sonne im Sinne seiner Souveränität - in praxi natürlich mal in Reinkultur und mal im Ausdruck der Gestalt getrübt.
Allerdings sind Archetypen kein Psychologismus, auch, wenn die Historie manchesmal den Eindruck macht. Vom Antimonium zum Aluminium, von der Maische hin zur Malve, von der Zwiebel zur Zitrone, vom Atrium zum Ziergebälk; egal, ob Stoff oder Kleid, Beruf oder Ort, Tun oder Wunsch oder Rang oder Leib ...
Einfach jede Gestalt ist ein Archetyp - ist ein Akkord von Urprinzip.
Im Objekt findet es es seinen Leib, im Geschehen seine Seele, im Inhalt seinen Geist und was verbleibt, ist reine Wirklichkeit. Würde sie verabreicht, es wäre reine Medizin. Doch da sie auch erlebbar ist, heißen wir sie einfach Story.