Was ist Archetypische Gestaltung? (1/7)
Ein Anfang:
Wer sich aufmacht, den Themenkreis Archetypische Gestaltung in aller Kürze verstehen zu wollen, oder vermessener: sie zu erklären, setzt sich ein recht hohes Ziel. Da ist es ratsam, wie der Bogenschütze festen Stand zu fassen, um sodann im Bogen auszuholen, wohin das Ziel nicht liegt, von wo wir aber umso schneller pfeilgerade zu ihm finden wollen. -
Die Mathematik ist geradezu verblüffend. Denn es gibt bis heute keine allgemein anerkannte Definition von ihr, ja, ist oft nicht einmal sicher, ob es sich um eine Geistes- oder Naturwissenschaft handle. Fest steht nur, dass sie aufgrund eigener Festlegung und abgeleiteter Definitionen und vermittels ihrer Logik abstrakte Strukturen auf deren Muster hin untersucht; wären Axiome ihr Fundament und plausible Theoreme ihre Ziegel, entstünde das Gebäude dieser Wissenschaft durch Mörtel und Arbeit rein logischen Beweisens.
Was sich aber kaum einer fragt, ist: warum funktioniert sie eigentlich?
Wenn aus den natürlichen Zahlen und grundlegenden Axiomen folgt, dass 2 mal 2 gleich 4 sind, so gilt dies zuverlässig immer, ob bei Äpfeln oder Birnen. Und wenn im Rechenstübchen hier auf Erden gilt, dass sich aus Wert und Formel eine ganz bestimmte Umlaufbahn ergibt, so gilt dies auch - zum Glück - im weit entfernten All. - „Das Buch der Natur ist mit mathematischen Symbolen geschrieben“, stellte dazu Galileo Galilei schon fest und auch Albert Einstein formulierte treffend die Frage, wie es denn überhaupt komme, dass die Mathematik „auf die Gegenstände der Wirklichkeit so vortrefflich passt“.
Aber auch wenn ihr hoher Grad an Abstraktion das kaum erkennen lässt, in Wahrheit ist sie die wohl induktivste aller Wissenschaften. Ihre vornehmste Arbeit nämlich, die Auswahl ihrer Axiome, ist zur Gänze praktischer Erfahrung entlehnt. Schon die allerersten Sätze ihrer Logik sind davon gewonnen und sprechen von dem ganz konkreten Ding: was ist, ist, was es ist (Satz der Identität); was ist, ist nicht auch nicht (Satz vom Widerspruch); etwas ist oder ist es nicht, aber nicht ein anderes (Satz vom ausgeschlossenen Dritten) ... ja, die Grundannahmen der Logik und Mathematik sind das reinste Destillat konkreter Erfahrung.
Was wir unterscheiden wollen:
Realität (lat. res, die Sache) macht die Summe aller Sachen und Sachlagen, von alledem, was die Natur zum Vorschein bringt. Alle Sachen, alle Dinge aber sind stets messbar, rechenbar, zählbar und in jeder Hinsicht Quantität, sind Domäne der Naturwissenschaft und Mündung aller Mathematik.
Wirklichkeit hingegen macht die Summe allen Inhalts aus. Alles Wirkliche ist dabei stets erlebbar, verstehbar, erzählbar und in jeder Hinsicht Qualität, ist Domäne des Geistes (unsichtbar für Mathematisches), Mündung scheinbar unbekannter Kunst.
Das Verhältnis dieser beiden Reiche bestimmte die Geschichte mehr, als einer ahnt...