Was ist Archetypische Gestaltung? (3/7)
Die Gestalt:
Wie groß ist der Bereich von Realität doch - alles Messbare, Zählbare und dank der Mathematik auch Rechenbare! Alles, womit wir uns umgeben, das wir nutzen und erfinden, womit wir hantieren und was ja unser Dasein ausmacht - all das ist natürlich unsere Realität.
Aber wie groß der Bereich von Wirklichkeit! - Unser Verständnis dieser Welt, unzählige Werte, Maximen, Geschichten und Figuren, all die Ideale, für die wir leben und unser Innerstes entbrennt, wofür wir opfern, das wir lieben, dahin wir alle streben, alles Wahre, das wir suchen oder wahren, alles Schöne, das wir schauen, schaffen und genießen, all das Gute, das zu sein wir sehnen - alles das ist doch in Wirklichkeit, was Leben heißt und mehr als bloße Existenz.
Ist etwa ein Graben zwischen beiden? - Keineswegs. - In Wahrheit sind sie beide nämlich Seiten eines Spektrums und beginnt ureigen Werk des Menschen, wo er einem Inhalt zu dessen bester Form verhilft und eine Form zu ihrem höchsten Inhalt bringt. Wir lernen damit unseren Anteil und bringen sie ins Gleichgewicht: die Verbindung beider Welten, sie findet sich in der Gestalt.
Wo Inhalt Form Gestalt verleiht, ist, wo beide Welten sich vereinen.
Gestalt meint aber mehr, als nur das Aussehen. Eine Form hat nämlich dann Gestalt, wenn etwas da ist, das in ihr erscheint und über sie hinaus von einem Inhalt spricht. Von großen Gestalten der Geschichte spricht man etwa, wenn sie ein Bild geprägt und einen Eindruck hinterlassen haben, der verstehbar ist, von Ideen kündet, der einen Inhalt zeigt.
Von der Gestalttheorie lernen wir, dass das Ganze anders ist, als die bloße Summe seiner Teile; in ihrer (wahrnehmungs-) psychologischen Perspektive aber nicht, dass im Ganzen eben Geist erscheint und ein Stück weit Wirklichkeit inkorporiert. Gestalt ist keine Fehlleistung der Wahrnehmung, kein Trompe-l´œil im Augenschein, wo Gehirn und Licht der Augen sich im Widerschein verwirren. Gestalt ist wirklich und real. Wirklich real. -
Wo sich Elemente irgendwelcher Art entwickeln (also archetypisch ordnen), tritt mitunter, aber dann recht plötzlich ein ganz Anderes hinzu, das ihnen Ganzheit leiht und sie gesamt von einer Ebene zur nächsten hebt. Im Zuge dieser Neugeburt nun zeigen sich neu Eigenschaften, die bis anhin noch nicht dagewesen; sie tauchen unvermittelt auf und formen Emergenz.
Hier bilden sich die Stufen dieser Welt: von Grundlagen der Physik bis zu den Stoffen der Chemie, von da zur biologisch ersten Lebensregung, immer weiter bis zum selbstbewussten Geist in uns... Klar erkennbar ist, dass sich aus Biologie noch kein Geist erklärt, die Biologie nicht aus der Chemie und wiederum sie nicht aus Physik. Recht ungewohnt für das bekannt kausale, kasuistische Denken - dass sich die Zusammenhänge einer übergeordneten Stufe nicht aus der unteren ergeben, sondern umgekehrt, sich "das, was an einem Teil dieses Ganzen geschieht, bestimmt von inneren Strukturgesetzen dieses seines Ganzen" (Max Wertheimer).
Wo Formen nur geformt sind, sei es nach der Willkür oder reiner Zweckmäßigkeit, entbehren sie des echten Inhalts und werden ungestalt. In der Formung nach urtypischem Gesetz jedoch, laden wir die Wirklichkeit tatsächlich zum Verweilen ein und macht erst sie in Wahrheit Schönheit aus.
Im Grunde gilt auch unser aller Sehnen der Gestalt. Denn selbst da, wo es eine ganz konkrete Form vermeint, gilt dieser Wunsch doch stets - soviel wird dem Betrachter klar - einem Inhalt im Zusammenhang mit dem Objekt, sei es Freiheit, Glück, Wohl und Reichtum, um nur einige davon zu nennen. Und immer gilt das Sehnen einem höchsten Ziel - so hoch der Einzelne zu sehn vermag.
Unser Sehnen liegt in der Wirklichkeit, allein, es will real sein. Im Ziel ist beides eins. Der Weg dorthin hat archetypische Gestalt.